Zu Gast

Mein leiser Schritt im sanften Wald,
den kein Beton laut widerhallt,
führt mich zu einem schmalen Pfad
mit einem Schild, das sagt: "privat".

Schnell bringt mein Denken mich ins schwitzen,
wie kann ein Mensch denn das besitzen,
was nur mit Füßen, Pfoten und mit Hufen
Unbekannte hier gemächlich schufen?
Wo allein doch der Gedanke,
daß der Grund, auf dem ich nun wanke,
und der schon ewig Bäume trieb,
dem, der das Schild dereinst beschrieb,
gehören soll, mir lächerlich erscheint.
Oder wie ist sonst das Schild gemeint?

Vielleicht so, wie man für gewöhnlich sagt:
"Das ist mein Partner", damit auch niemand wagt,
in diese schwache Festung einzubrechen
und womöglich gar es auszusprechen,
daß ein Mensch den anderen nicht besitzen kann.
Dabei hört sich die Wahrheit doch genauso an.

Sind wir nicht alle nur zu Gast auf Erden?
Wir sollten viel bescheidener werden
und denen, an die wir gerne denken,
das Glück mit vollen Händen schenken,
ganz ohne kalkulierten Sinn
auf Nutzen oder gar Gewinn.
Denn sind wir auch alle hier nur Gäste,
so liegt es an uns, daß wir das beste
aus dem Leben machen. Und das heißt,
wenn du von einem Menschen weißt,
dann nenne ihn nicht einfach "dein",
sondern lade ihn ganz herzlich ein,
ein wenig Zeit mit dir zu teilen
oder auch länger zu verweilen.

Mario Haßler · Geschrieben am 22. Mai 1996 · Gepostet am 03. Januar 1997

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