Herbstaussichten

Es hat kräftig geregnet - und das Thermometer zeigt noch mickrige 14 Grad an. Der Wind wird nachts unangenehm frisch, und der Griff zur Jacke wird häufiger.

Es wird Herbst.

Vorbei die Tage im stickigen Büro, im überfüllten Freibad, die schwülen Nächte im Boulevardcafe - dafür beginnt nun wieder die ruhige, besinnlichere, kühlere, ja schon fast depressive Zeit (Jemand meinte zwar mal, es gäbe keine depressive Jahreszeit, sondern nur depressive Menschen. Na denn.).

Meine Gefühle sind da sehr zwiespältig.

Ein Regentag im Herbst empfinde ich als unglaublich trist, langweilig, lähmend. Es ist jeweils eine Qual, aus der warmen Stube zu müssen, sich in die kalte Welt zu stürzen. Aber gleichzeitig wirken da gewisse Orte so herzlich, wenn sie schön warm sind, hell beleuchtet und von Menschen bevölkert. Was gibt es schon schöneres, als an einem solchen Tag in der warmen Stube nen heissen Tee zu schlürfen, gebackene Kekse zu knabbern, die Füsse am Heizkörper zu reiben und sich an jemand nettes zu kuscheln? Na gut - nicht jede/r besitzt Tee und Kekse.

Dann scheint mal die Sonne, lässt einen Waldspaziergang zum absoluten Farbenerlebnis werden. Ich hörte mal von einem verhaltensauffälligen Jungen, der jeden Morgen in den Wald ging, um einige Bäume zu umarmen. Wie er wohl den Herbst erlebt?

Ach, liegt da noch das ganze Laub auf dem Boden. Da kann man so schön mit den Füssen drin scharren, wenn ein ernstes Gespräch zu peinlich wird.

Ausserdem gibts im Herbst immer den "Traubensaft im Gärstadium", wie es so schön heisst. Das witzige daran ist, dass man sich damit nicht betrinken kann. Vorher gibts Durchfall - und da wird man schnell wieder nüchtern. Neutralisierend wirken die Nüsse. Sofern man noch weiss, wo man vor einem Jahr den Nussknacker versorgt hat.

Im Herbst kommen die kleinen, feinen, europäischen Studiofilme ins Kino. Sat1 und Pro7 präsentieren ihr Herbstprogramm. Alte und neuere Gospelformationen touren durch die Gegend. Und schon bald geht wieder der Weihnachtsrummel los.

Ich weiss nicht, ob ich den Herbst liebe. Aber ich brauche ihn.

Spätsommerliche Grüsse
Patrick

Patrick Rudin · Gepostet am 13. Ausgust 1998

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